Gefunden ist noch noch nicht geborgen...

Von der Schwierigkeit, sich in einem Fluss zu orientieren

TC

7/15/20244 min read

An einem Sonntagnachmittag tauchte ich an einer meiner Lieblingsstellen und genoss dieses ruhige und doch fröhliche Schauspiel unter Wasser. Die Sonnenstrahlen brachen durch die Wasseroberfläche und tauchten die Umgebung in ein schimmerndes Licht. Plötzlich erregte ein glänzendes Etwas meine Aufmerksamkeit. Es ging sicher eine halbe Sekunde, bis mein Hirn schaltete, dass da ein IPhone etwa einen Meter schräg vor mir auf dem Flussboden lag. Mindestens eine weitere halbe Sekunde verging, bis ich den Arm danach ausstreckte, und nochmals eine halbe Sekunde später sah ich das Iphone bereits - in guter Armlänge Entfernung - an meinen Fingerspitzen vorbeiziehen.

Voller Aufregung stieg ich aus dem Fluss, überzeugt, dass es ein Kinderspiel sein würde, das Handy zu bergen: Ich würde einfach den Fluss hochlaufen und dann genau an der Stelle wieder vorbeitauchen, an der ich das Handy gesehen hatte. Während ich den Fluss hochlief, war ich bemüht, den genauen Punkt im Gedächtnis zu behalten, an dem ich das Handy gesehen hatte. Doch als ich wieder runtertauchte, war das Handy nicht mehr zu sehen. Ich wiederholte diesen Prozess mehrere Male, immer wieder tauchte ich an leicht unterschiedlichen Flusstiefen vorbei, doch das Handy blieb verschwunden. Frustriert und etwas erschöpft wurde mir klar, dass ich die Distanzen im Fluss völlig falsch eingeschätzt hatte.

Nicht alles ist so, wie es scheint
Im Tauchgrundkurs hatte ich zwar gelernt, dass unter Wasser alles grösser erscheint (durch die unterschiedlichen Brechzahlen von Luft und Wasser kommt es an der Luft-Wasser Grenze der Taucherbrille zu einem optischen Effekt, wodurch Gegenstände 1/3 Größer und 1/4 Näher erschienen[1]), aber in der Realität hatte ich es in diesem Moment der Aufregung nicht bedacht.
Eine zweite Schwierigkeit beim Flusstauchen ist, den Abstand zum Flussufer korrekt abzuschätzen. Man schaut mit der Taucherbrille knapp über die Wasseroberfläche hinweg, die sich ständig bewegt und kräuselt.
Somit bestehen schon zwei Schwierigkeiten:
- Wo befindet sich das Objekt relativ zum Auftauchpunkt
- Wo befindet sich der Auftauchpunkt im Fluss

Eine Alternative bestünde darin, sich nur am Flussboden zu orientieren; das wird aber durch die Tatsache erschwert, dass die Umgebung unter Wasser oftmals recht homogen wirkt. Im Idealfall liegt das Objekt an einem markanten Punkt (zB hinter einem grossen Stein, an dem sich zusätzlich ein grosser Ast schräg verfangen hat; so eine Szene erkennt man beim erneuten "Anflug" schon von weitem, und kann darauf zusteuern). Aber dieser Idealfall liegt leider eher selten vor.

Die Lösung liegt im Schrank?
Drei Stunden und zahlreiche Tauchgänge später kam schließlich der Moment der Freude: Ich entdeckte das Handy wieder und konnte es endlich greifen.
Dieser Tag lehrte mich eine wertvolle Lektion über die Herausforderungen des Flusstauchens. Unter Wasser ist das Einschätzen von Distanzen und Positionen eine Kunst für sich. Die Lichtbrechung, die Bewegungen der Strömung und die relativ einheitliche Umgebung machen es sehr schwer, präzise Positionen abzuschätzen. Was an der Oberfläche als einfacher Plan erscheint, kann sich unter Wasser als äußerst schwierig und zeitaufwändig herausstellen.
Nach diesem Lehrstück der Natur habe ich überlegt, wie ich relevante Positionen im Fluss leichter wiederfinde und dachte über ein passendes Markierungssystem nach. Die eleganteste (und für den Fluss schonendste) Variante schien mir das Markieren mittels GPS. Hierfür habe ich ein altes Iphone, das bei mir im Schrank lag, kurzerhand mittels tauchfester Hülle und daran angebrachten Unterarm-Straps zum Unterwasser-GPS umfunktioniert - nur um zu merken, dass das GPS Signal (Radiowellen) wirklich schon nach einer geringen Wassertiefe nicht mehr zum Handy durchdringen.
Eine Möglichkeit bestünde darin, dass Handy in einem Dry Bag an der Oberfläche hinter sich herzuziehen, aber das hat zwei gewichtige Nachteile:
1) Die Gefahr, dass die Leine an einem Objekt im Fluss hängen bleibt
2) Die Positionsdaten stehen dem Taucher nicht in Echtzeit zu Verfügung
Ein anderer Lösungsansatz wäre das Abwerfen von Markierungsobjekten, die viel besser (und daher von weiter weg) sichtbar sind als das gesichtete Objekt. Nur müsste man diese anschliessend wieder einsammeln und die Zeitspanne zwischen Objekt sichten und Markierung abwerfen müsste extrem kurz sein: wenn man dafür nur schon 1 Sekunde braucht, befindet man sich schon gut 2m hinter dem Objekt; dies wiederum verkürzt den zeitlichen Spielraum zwischen Wiedererblicken der Markierung und Kurskorrektur.
Daher kehrte ich nach weiterführender Recherche doch zur Strategie eines Positionierungssystems zurück, das in Echtzeit dem Taucher seine Position zB in Relation zur bisher getauchten Route aufzeigt. Da unter Wasser Radiowellen und Lichtwellen keine guten Informationsträger sind, greifen die existierenden Systeme idR auf Schallwellen zurück. Das Grundprinzip besteht meist aus einem Empfänger, welcher an einem bekannten Standort (d.h., Koordinaten mittels GPS bekannt) ins Wasser eingebracht wird, und Sendern, welche von den beweglichen Elementen getragen werden.
Der Haupteinsatzort sind statische Gewässer wie Seen und Meere. Ob so ein System auch in einem begrenzten Flussabschnitt funktioniert, würde ich gerne in naher Zukunft testen. Es bleibt also spannend.

Abenteuer und Präzision
Der Eingangs beschriebene Tauchgang und die darauf folgenden Überlegungen, Bastelstunden und Recherchen zeigen sehr schön: jeder Tauchgang ist ein neues kleines Abenteuer und sehr oft ein Anlass, etwas Neues dazuzulernen. Das verlorene Handy (das am Ende wieder seinen Besitzer fand) mag nur ein kleines Objekt sein, doch die Erfahrung, es zu bergen, wird mir als eine unvergessliche Lektion im Gedächtnis bleiben. Obwohl die Suche mühsam war, erinnere ich mich gerne an diesen Tag zurück. Er hat mir einmal mehr gezeigt, wie faszinierend und komplex die Unterwasserwelt ist und wie wichtig Geduld, Präzision und Ausdauer beim Flusstauchen sind.

[1] https://www.eobv.at/media/pdf/EOBV_Sehen_unter_Wasser.pdf [accessed on 15.07.24]